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Ist es im Bujinkan eigentlich notwendig, sich mit Philosophie auseinander zu setzen?

Nun zunächst wäre erst einmal zu klären, was Bujinkan überhaut ist, oder eben nicht.

Das hängt in gewissem Maß von der eigenen Betrachtung ab.

Eigentlich ist diese Frage ganz simpel zu beantworten.

Es gibt immer mal wieder Menschen, die behaupten zu wissen, was Bujinkan ist und was nicht. Die sich heraus nehmen zu beurteilen, dass diese Technik Bujinkan sei und jene nicht.

Dabei ist die Sache eigentlich ganz klar. Soke Masaaki Hatsumi ist der Begründer des Bujinkan, eines Zusammenschlusses von neun Kampfkünsten. Er allein, als Soke und Systemgründer, bestimmt was Bujinkan ist und niemand sonst.

Dabei ist es aber wichtig zu berücksichtigen, das auch Soke sich im Laufe der vielen Trainingsjahre verändert hat, zu anderen Erkenntnissen gekommen ist und sich weiterentwickelt hat. Bujinkan ist ein lebendiges System und nicht irgendein totes Relikt aus uralten Zeiten.

Er also bestimmt, was ist.

Bei uns scheint Bujinkan für viele eine Art Sport zu sein. Eine Möglichkeit, der Freizeitbeschäftigung, die man betreibt, um fit zu bleiben und um Spaß zu haben.

Ein Sport ist es eigentlich nicht. Wenn es darum geht, fit zu bleiben, dann gibt es garantiert unzählig viele andere Sportarten, in denen man mehr für Fitness tun kann, zumal der Schwerpunkt des Trainings ja nicht darin besteht sich primär mit dem Aufbau von Kondition und Beweglichkeit zu beschäftigen. Zweifellos ist verbesserte Elastizität und Vergrößerung des Bewegungsumfangs in den Gelenken ein, nennen wir es mal Nebeneffekt, aber nicht Hauptziel.

Und wie ist das mit dem Spaß? Klar macht das Training Spaß. Sollte es zumindest. Aber eigentlich hat Bujinkan überhaupt nichts mit Spaß zu tun. Es geht nicht darum, seine Freizeit witzig zu gestalten und gerade die Trainingseinheiten, die keinen Spaß machen, sondern aus denen man sogar eher mit einem Gefühl von Frust nach Hause geht, erweisen sich im Nachhinein als gerade die Einheiten, aus denen man am meisten gelernt hat, vorausgesetzt, man lässt sich vom Frust nicht beherrschen, sondern nutzt ihn als Basis, sein Können weiter zu verbessern.

Also mit Sport hat Bujinkan nichts zu tun und damit ergo auch nichts mit Kampfsport.

Vielleicht ist es ein Selbstverteidigungssystem.

Ja, im Ursprung ist dieses System, basierend auf neun historischen Schulen aus der Notwendigkeit geboren worden, sich selbst, die Familie, das Dorf und die Region in der man lebt zu verteidigen. Damit gehört der Zusammenschluss dieser Schulen sicher zu den effizientesten Systemen überhaupt. Aber um sich wirklich erfolgreich zu verteidigen, bedarf es eines jahrelangen, intensiven Trainings um irgendwann einmal so weit zu sein, dass man überhaupt eine Chance hat in einem echten Fight zu überleben, geschweige denn, im günstigsten Fall, unverletzt daraus hervorzugehen.

Also ein Selbstverteidigungssystem, wie sie heutzutage zu Hauf angeboten werden ist es auch nicht, zumindest nicht vorrangig.

Im Wesen ist Bujinkan eine Kampfkunst, ja eigentlich eine Kriegskunst.

Und damit weit umfangreicher, als jede andere Kampfkunst – oder Kampfsportart.

Was häufig geschieht, ist die Reduzierung des Bujinkan auf eine reine Ansammlung von mehr oder weniger spektakulären Techniken, die mal besser, mal weniger gut geeignet scheinen, sich zu verteidigen.

Es wird leider allzu häufig vergessen, dass der Anteil des Bujinkan, der auf dem Ninjutsu basiert, in Relation steht mit Tarnen, Täuschen, Verstecken, Entfliehen und Manipulation der Umstände unter Ausnutzung der lokalen Gegebenheiten und Witterungsverhältnissen. Aber auch ein eigenes Medizinsystem und Ernährungsprogramm beinhaltet.

Der Bugeianteil, also der Anteil basierend auf den Künsten der Samurai, verlangt auch eine Hinwendung zu bestimmten Codizes, und damit Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit, Loyalität und Disziplin – auch wenn aus heutiger Sicht nicht immer klar zu sagen ist, inwieweit sich die Samurai selbst stets daran gehalten haben.

Es stellt sich also durchaus die Frage, ob ich selbst beim Training bemüht bin, mich mit all diesen verschiedenen Dingen auseinander zu setzen.

Oder bevorzuge ich im Wesentlichen die reinen Kampftechniken? Gehöre ich also zu den sogenannten Techniksammlern?

Wenn ein System so umfangreich ist, wie das Bujinkan, dann muss einem klar sein, dass es unmöglich ist, auch nur ansatzweise zum Kern vorzustoßen, indem ich mich ausschließlich mit dem rein technischen Anteil beschäftige.

Wie ist das nur möglich, dass es Danträger gibt, die nicht mehr als ein oder bestenfalls zwei Bücher gelesen haben – und ganz speziell Bücher von Soke.

Wenn man sich nicht mit der Historie auseinandersetzt, wie um Himmels willen soll man denn verstehen, wie diese Kampfkunst entstand und warum Techniken so ausgeführt werden und nicht anders. Wenn man versucht sich in die damalige Zeit zurückzuversetzen, hin spürt wie es sich wohl angefühlt haben mag, unter den damaligen Bedingungen um sein Leben zu kämpfen, einer Übermacht gegenüber zu stehen, die bis an die Zähne bewaffnet und in schweren Rüstungen gekleidet waren.

Sicher kann das alles nur sehr theoretisch und abstrakt erfolgen, aber daraus kann ein Gefühl, ein Gespür dafür entstehen, warum man solche Techniken entwickelt hat.

Nur wer einmal eine Rüstung getragen hat, erahnt wie man damit kämpft.

Nur wer im Gelände trainiert hat, in der Nacht, in fremdem Terrain, kann ermessen wie es gewesen sein mag, in eine befestigte Anlage einzudringen und unbemerkt seinem Auftrag nachzugehen.

Allein deshalb und geschuldet dem Umstand dass wir, Gott sei Dank, die Zeit nicht zurück drehen können, ist es von großer Bedeutung, sich viel mit Literatur, Geschichte und dieser Zeit auseinander zu setzen.

Was keinesfalls unberücksichtigt bleiben darf ist der Umstand, dass in den alten Zeiten die verschiedenen Religionen einen ganz wesentlichen Anteil im Leben hatten.

Es ist also von großer Bedeutung sich mit den vorherrschenden Religionen und Weltanschauungen zu beschäftigen, denn nur dann wird einem klar, warum es gerade im Ninpo so viele Anteile gibt, die heute allzu leicht als Mystizismus, Esoterik oder Aberglaube abgetan werden. Wer hat schon so viel Zeit, sich mit Kuji in oder Kuji kiri zu beschäftigen? Aber nichtsdestotrotz ist es ein fester Bestandteil des Ninjutsu und damit des Bujinkan.

Und nur weil die Zeiten sich geändert haben und wir heute so technisiert, gebildet und wissenschaftlich sind und denken, heißt das noch lange nicht, dass dieses Wissen veraltet ist, nicht mehr funktioniert und es keinen Sinn mehr macht, sich damit zu beschäftigen.

Ganz im Gegenteil.

Selbstverständlich ist es wichtig, sich mit der richtigen Ausführung der, nennen wir es mal Kampftechniken, auseinander zusetzen und sich darin zu üben, seine Technik stets weiter zu verbessern.

Aber macht das die Auseinandersetzung mit den geistigen Dingen weniger wertvoll oder unnötig?

Man könnte genauso argumentieren, und das geschieht ja auch in einzelnen Fällen so, dass wir heute eben nicht mehr in den alten Zeiten leben.

Aber macht dieser Umstand es dann nicht auch völlig unnötig sich mit Schwerttechniken, Naginata, Yari oder Kyoketsu Shoge zu beschäftigen. Wie hoch ist wohl die Wahrscheinlichkeit, dass einem auf der nächsten Kirmes jemand mit einer rasiermesserscharfen Katana gegenüber steht? Müssten wir, so argumentiert, unser Training nicht viel eher auf Handfeuerwaffen verlagern und Waffen, die der heutigen Zeit eher entsprechen?

Ja, auch diesen Aspekt darf man natürlich nicht außer Acht lassen.

Aber wir trainieren eine altjapanische, historische Kampfkunst. Und dazu gehören eben auch all die historischen Waffen. Und genau deshalb trainieren wir mit ihnen, weil wir der Tradition und der Geschichte genauso verpflichtet sind, wie der Moderne.

Das sollte aber auch dazu führen, dass wir den spirituellen Dingen genauso viel Zeit widmen, wie dem Training auf der Matte.

Ich denke, dass es nicht klug ist, seine Fähigkeiten allein auf der Matte, im Kampf, zu verbessern, sondern dass die Beschäftigung mit Philosophie, Religion und Spiritualität einen mindestens genau so großen Respekt und Anteil verdient.

Vielleicht wäre es wichtig, weniger zu trainieren und mehr zu diskutieren, um es mal extrem plakativ auszudrücken.

Philosophie halte ich im Bujinkan für durchaus sehr wichtig.

Die Auseinandersetzung damit im Training macht aber eigentlich nur dann wirklich Sinn, wenn die Schüler auch dafür offen sind, verstehen dass es ein integraler Bestandteil unserer Kampfkunst ist und nicht ein unnötiges esoterisches Beiwerk.

Solange dieses Verstehen nicht gewährleistet ist, bleibt die Philosophie nur ein leeres Konzept oder Gedankengebäude, dass nicht mit Leben gefüllt werden kann.

Es bleibt also die Frage:

Wie sehe ich das Bujinkan und wie trainiere ich es?

Beschäftige ich mich wirklich zu gleichen Teilen mit den Hintergründen, der Geschichte, Religion, Esoterik, Spiritualität, tarnen, täuschen, verstecken, fliehen, manipulieren, Medizin, Ernährung, Training mit und ohne Waffen usw. usw., oder bin ich nur ein reiner Techniksammler, der nur zum Training kommt, wenn er Lust hat?

Bin ich wirklich echt, ehrlich, authentisch? Bin ich in der Lage in jedem Moment meines Lebens Rechenschaft für das abzulegen, was ich getan habe? Habe ich meine Schulden beglichen? Kann man sich hundertprozentig auf mich verlassen? Ist mein Wort auch wirklich ein Wort dem Taten folgen? Bin ich bereit, für das einzustehen was gut und richtig ist?

Was ist der Kern des Bujinkan?

Nun Soke gibt uns das kleinste mögliche Ziel vor, das so einfach ist, wie es einfacher nicht sein kann, weil wir es unserer Natur nach eigentlich schon sind.

Und doch ist es in der heutigen Zeit wohl eines der am schwersten zu erreichenden Ziele überhaupt:

„ to become a complete human“

Und dazu gehört die Spiritualität genauso wie alles andere.

In diesem Sinn,

Dig on!